Statement zum Krieg in der Ukraine
von Georg Neubert (Kommentare: 0)

Zum Krieg in der Ukraine: Bei mir gibt es keine der auf FB so beliebten Ein-Sätze-Meinungen, sondern Nachdenkliches, um ein Stück weit die (eigene) Hilflosigkeit zu überwinden gegenüber dem, was aktuell in der Ukraine geschieht: Ein brutaler Angriffskrieg. Dazu acht persönliche Gedanken:
1. Alles, was eine weitere Eskalation verhindern kann, muss getan werden. Dazu gehören all die getroffenen Maßnahmen. Die Kriegsgräuel, die humanitäre Situation in der Ukraine, das Flüchtlingselend sind so unfassbar, dass es einem den Atem raubt. Unterstützen wir die aktuell politisch getroffenen Maßnahmen, sorgen wir so gut wie möglich für die Geflüchteten, spenden wir an humanitäre Organisationen. Das ist trotz aller Hilflosigkeit ein Zeichen der Solidarität - und der Wehrhaftigkeit der Demokratien gegen einen Despoten. Aber eines darf nicht völlig aus unserem Denken verschwinden, nämlich über eine Exit-Strategie aus dem aktuellen Konflikt und den - künftigen - Platz Russlands in Europa nachzudenken. Warum hat nicht gerade Gerhard Schröder seine besondere Situation und Biografie genau dafür genutzt? Er darf nicht weiter Lobbyist bleiben. Das ist keine Privatsache. Er verspielt dadurch den Rest seiner politischen Reputation und schadet der SPD. Kontakte in die russische Zivilgesellschaft aber sind wichtig. Es ist Putins Krieg. Alles, was notwendig ist ihn zu stoppen, muss getan werden, aber: die Russen sind nicht unsere Feinde. Ein generalisiertes Misstrauen anstelle von Vertrauen zu setzen, darf nicht zur Grundmelodie unseres (politischen)Denkens werden.
2. (M)eine friedensethische Positionierung kommt an ihre Grenzen. Ja, in ein Dilemma. Das heißt auch alte Gewissheiten über Bord zu schmeißen, nach denen schon alles gut wird, wenn man nur oft genug betont, dass man für Frieden ist. Natürlich gilt das Selbstverteidigungsrecht. Nur eines darf m.E. nicht passieren, dass Kriegslogik zum vorherrschendes Denk- und Handlungsparadigma und anstelle von Vertrauen generalisiertes Misstrauen zum Grundgefühl wird.
3. Die Idee einer Absicherung internationaler Ordnung durch wirtschaftliche Ordnung und Verflechtung ist durch Putins Angriffskrieg aktuell ad absurdum geführt. Grundsätzlich falsch wird sie dadurch nicht. Die Grundidee der Ostpolitik von Egon Bahr und Willy Brandt „Wandel durch Annäherung“ ist keine Zauberformel mit Ewigkeitsgarantie, aber nach wie vor ein Denkmuster, das durch den aktuellen brutalen Angriffskrieg nicht grundsätzlich desavouiert werden darf.
4. Der historische Referenzpunkt sozialdemokratischer Außenpolitik scheint sich zu verschieben: weg von der Ostpolitik Willy Brandts, hin zur entschlossenen Sicherheitspolitik von Helmut Schmidt zu Zeiten des NATO-Doppelbeschlusses - wobei die nun rapide getroffenen Entscheidungen weitreichender sein dürften als vor 40 Jahren. Ich sehe die damit verbundene Stärkung des politisch-militärischen Komplexes kritisch. Notwendiger denn je scheinen mir Organisationen wie z.B. den „Zivilen Friedensdienst“ (ZFD), der sich für eine Welt einsetzt, in der Konflikte ohne Gewalt geregelt werden.
5. Waffenlieferungen waren für mich bisher ein No-Go. Nachdem Putin alle Regeln und Normen außer Kraft gesetzt hat, scheinen sie mir aus Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung moralisch geboten. Die plötzliche drastische Erhöhung des Wehretats aber sehe ich sehr kritisch. Die Bundeswehr braucht eher eine Strukturreform und die Welt braucht Investitionen in ganz andere Bereiche als den militärischen. Es gibt weltweit so viele Notsituationen, Dürre, Hungersnöte, humanitäre Katastrophen. Es wäre verheerend, wenn die humanitäre Hilfe im Süden unter der Aufrüstungsspirale leiden müsste. Und es wäre verheerend, wenn die Tendenz zur Militarisierung bis auf alle Politikfelder durchschlagen würde. Noch stärker als vor der „Zeitenwende“ werde ich mich für zivile Außen- und Sicherheitspolitik einsetzen, hin zu einer Politik der Gewaltdeeskalation, Gewaltprävention und Kooperation, hin zu einer Friedens- und Sicherheitsordnung unter dem Dach der OSZE.
6. „Junge und nachfolgende Generationen werden uns dafür verurteilen, dass wir Älteren es nicht vermocht haben, eine bessere Welt zu schaffen“. (Mützenich) Aber gerade wir sind aufgefordert die „Zeitenwende“ nicht nur über uns ergehen zu lassen, so sprachlos uns die aktuellen Kriegshandlungen zurücklassen. Die dramatische Wendung deutscher Außen- und Sicherheitspolitik und die damit zusammenhängenden Auswirkungen müssen in Politik und Zivilgesellschaft unter sicherheitspolitischen, klimapolitischen, entwicklungspolitischen, ethischen, persönlichen, fiskalischen und globalen Gesichtspunkten durchdacht und diskutiert werden.
7. In der Ukraine wird in unmittelbarer Nähe von Atomkraftwerken gekämpft. Da wächst die Gefahr kriegsbedingter schwerer Atomunfälle. Eine grauenhafte Vorstellung. In Deutschland wird ein Revival von Atomkraft diskutiert. Das bedeutet für mich: „Gefahrzeitverlängerung“ und ist ein untauglicher Weg aus der Energiekrise. Nur zukunftsfähige Energien, Wind und Sonne schaffen Unabhängigkeit und vermindern die Gefahren von Kriegen.
8. Wir stehen fassungslos vor dem Kriegs- und Flüchtlingsleid in der Ukraine und müssen helfen, wo wir können. Das ist und bleibt das Gebot der Stunde. Die dahinterliegenden politischen Fragen aber sind: Wie können wir Russlands Streben nach Einfluss eindämmen und dennoch Eskalationen vermeiden? Was sind unsere Vehikel des Dialogs und welches Ziel verfolgen wir damit auch vor dem Hintergrund transnationaler oder sogar planetarer Herausforderungen? (so Christos Katsioulis am 28.2. 22 in IPG)
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